Der Vortrag ist einem besonderen Aspekt (auto-)biographischen Schreibens gewidmet, nämlich der (Selbst-)Inszenierung russischer Schriftstellerinnen und Schriftsteller im Internet. Damit soll eine Lücke geschlossen werden, denn die (Auto-)Biographieforschung sieht das Netz vornehmlich als nicht eingelöstes Versprechen eines (auto-)biographischen Hypertextes, wobei sie gleichzeitig die neuen kreativen Formen übersieht, die sich im Laufe der Zeit etabliert haben. Einerseits ist das vielzitierte Web 2.0 mit seinen sozialen Netzwerken ein Medium zur Selbstdarstellung. Gleichzeitig sind Identitätswechsel und -diebstahl so einfach wie nie zuvor. Diese Dichotomie der Authentizität und Inszenierung durchdringt alle Sphären des Netzes und ist besonders im russischsprachigen Teil des Internets sehr präsent.
Anhand der russischen Netzliteratin Linor Goralik wird gezeigt, inwiefern sich (auto-)biographische Formen im Netz von ihren ‚klassischen‘ Geschwistern unterscheiden und wie diese Unterschiede die Literaturwissenschaft vor neue Herausforderungen stellen. Intermediale Genres wie etwa Webseiten und die schiere Masse an in Frage kommenden Texten verlangen völlig neue Herangehensweisen. Vor allem quantitative Ansätze der Digital Humanities haben sich in diesem Zusammenhang als sehr nützlich erwiesen. Doch nicht nur methodologisch ist ein Umdenken notwendig. Grundlegende Konzepte der (Auto-)Biographietheorie wie Philippe Lejeunes ‚pacte autobiographique‘ greifen ebenfalls zu kurz und verlangen nach einem Update, um die (Selbst-)Inszenierungen im Runet besser fassen zu können.